Zielsetzung
Szenario zur Zukunft der deutschen Radiologie im Jahr 2030 als Planungshilfe für (niedergelassene) Radiologen
Material und Methoden
Szenariotechnik, strukturierte Interviews, Workshops mit 100 Beteiligten aus der Radiologiebranche
Ergebnisse
Nach dem ersten Zukunftsszenario, das auf dem DRK 2006 vorgestellt wurde, legen Curagita und die 400 niedergelassenen Radiologen des Radiologienetz zusammen mit zahlreichen Branchenexperten 2024 ein neues Zukunftsbild vor. Inmitten eines unterfinanzierten deutschen Gesundheitswesens steht die niedergelassene Radiologie vor tiefgreifender Rationalisierung. Der Bedarf an Radiologie wird weiter ansteigen: Mehr Patienten mit jeweils mehr Bildern und komplexerer Befundung. Gleichzeitig wird die Arbeitszeit von immer knapperen und weniger arbeitenden New-Work-Radiologen und MTR und damit das Angebot an Radiologie zurückgehen. Eine einfache Rechnung beziffert die Versorgungslücke mit 21-31% des heutigen Radiologievolumens im Jahr 2030. Geringere Öffnungszeiten, längere Wartezeiten und teilweise unbesetzte Arztsitzen an weniger Standorten wären die Folge. Die anhaltende Rationalisierung in und die Konsolidierung unter den Praxen wird die nächsten Jahre prägen. Bevor es zu einer Rationierung kommt, könnten die Reserven einer Überversorgung, beispielsweise anhand strenger Indikation, ausgeschöpft werden. Diese Überversorgung wird von Insidern auf 20-30% der Untersuchungen geschätzt und deckte somit die o.g. Versorgungslücke.
Der Haupttrend der Rationalisierung wird von 10 weiteren Trends begleitet:
1. Anhaltende Personalverknappung und -verteuerung, verstärkt durch den Ruhe-stand der „Baby Boomer“ und das New-Work der jüngeren Generationen,
2. Fortschreitende Praxiskonsolidierung und Zunahme des Einflusses investorenge-führter MVZ, die heute 1/3, zukünftig 50% des Marktes beherrschen werden,
3. Verstärkung des Vergütungsdrucks in GKV, PKV,
4. Umfassender Wandel in der Krankenhaus-Radiologie,
5. Beschleunigter Zugriff von Teilgebietsradiologen, insb. auf MRT,
6. Souveräne Patienten und Präventanten,
7. Eher kosten- als nutzengetriebene KV, Kassen, Versicherungen,
8. Parallele Konsolidierung weltweit agierender Hersteller mit Fokus auf KI,
9. Weitere Subspezialisierung des Fachgebiets Radiologie,
10. Megatrend Künstliche Intelligenz (KI) und Digitalisierung.
Die Trends verdichten sich zu zwei Szenarien:
Langfristig lässt sich ein mit „Google-Radiologie“ bezeichnetes Extremszenario erkennen: Mehr Radiologie, aber eher „virtuell“. Präventanten bzw. Patienten würden ihre in einem „Passbildautomaten-MRT“ oder bei Teilgebietsradiologen automatisiert gemachten Bilder bei Google bzw. ChatGPT hochladen und sekundenschnell eine Befundung und therapie-bezogene Diagnose mit Online-Therapieempfehlung erhalten.
Mittelfristig bis 2030-40 zeichnet sich das Szenario einer Vielfalt von Betriebsformen in der freiberuflichen Radiologie, dominiert von „Radiology Factories“ oder Megapraxen. Vorstellbar wären diese durch Praxisfusion entstandenen regionalen Vollsortimentzentren mit 10 ferngesteuerten MRT, die rund um die Uhr neben einer KI-gestützten Massenradiologie eine hochqualitative Subspezialisierung anbieten. Wenige Radiologen befunden ganzheitlich in „Reporting Rooms“ oder auch von zuhause aus und nutzen VR (Virtual Reality) und Large Language Models. Die Verwaltung ist von der Anmeldung über die Dienstplanung bis hin zur Abrechnung vollautomatisiert. Daneben entstehen weitere Praxisformen, wie sub-spezialisierte Boutiquen, Abteilungen von Teilgebietsradiologen, Diagnostikzentren oder Präventionszentren.
Das Arbeitsfeld der RadiologIn wird sich insbesondere im Zug des New Work und infolge der Nutzung von KI verändern. Die RadiologIn steuert volldigitale Workflows, inklusive (au-tomatisierter) Indikationsprüfung und gesundheitsökonomischer Begründung. Die Befundung von (Ganzkörper-) Untersuchungen wird ganzheitlicher (z.B. Ergüsse, Gefäßkalk, Blutfette, Organstatus) und individueller (Präzisionsmedizin) unter Einbeziehung klinischer Informationen und Labor. Der Befund wird „Antworten auf Fragen, die nicht gestellt wurden“ (H.U. Kauczor) geben und „die Prävention läuft begleitend mit“ (C. Bamberger). Der radiologische Befund wird quantitativer, klassifizierender, segmentierender, strukturierter, standardisierter, fusionierter, KI-doppel- und zusatzbefundet, klinischer und vor allem prognostisch je nach Wunsch. Der Befund wird zur Diagnose. Zielaufträge weichen Abklärungen. Präventanten sind zugleich Patienten und umgekehrt. Insgesamt wird die RadiologIn vom Kunstflieger im eigenen Doppeldecker zum Autopilot-unterstützten arbeitenden Flugkapitän großer Verkehrsflugzeuge im fremden Eigentum. Sie wird mehr Zeit für Personal, Patient und Zuweiser haben.
Obwohl wir mit Covid, Kriegen und diversen Krisen gerade weltweit größte Umbrüche er-leben, waren die am Szenario Beteiligten kaum in der Lage Diskontinuitäten zu identifizieren oder Technologiesprünge einzuschätzen. Im Vordergrund stand die Frage, wie schnell und weitreichend KI die Arbeit beeinflusst und ob Regulatorik und Vergütung nachkommen und bürokratische Hemmnisse überwinden können.
Schlussfolgerungen
Die niedergelassene RadiologIn kann sich auf auf diese Zukunft vorbereiten: Aktive Lobbyarbeit, Vernetzung der freiberuflichen Praxen, strategische Praxis-entwicklung, professionelle Personalarbeit und teilnehmende Beobachtung von KI.